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Channel: Sprachlog » Anglizismus des Jahres 2012
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Klein, aber oh yeah! [Anglizismus 2012]

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Die Wahl geht in die Endphase — die großen Favoriten wurden und werden in detaillierten Einzelbeiträgen besprochen. Da wir uns aber immer zum Ziel setzen, allen Kandidaten, die die erste Runde überstanden haben, ein wenig Raum, ein bisschen Zeit und viel mediale Öffentlichkeit zu schenken, kommt heute eine Kurzbesprechung von Wörtern, denen wir zumindest bei dieser Wahl keine größeren Chancen ausgerechnet haben — einigen sogar zu Unrecht. Aber lesen Sie selbst.

Cypherpunk

Spannend daran? Dass es aus undefinierbar vielen Teilen besteht oder aus ebenso vielen Prozessen entstand, also quasi ein Kontamiclippositum ist. Also vielleicht so eine Art gemischtgeclippte Kontamination im Kompositum: cipher/cypher (n.), verwandt mit Ziffer und Chiffre, eigenständig möglich und seit Jahrhunderten belegt, aber auch als Rückbildung aufgrund der Nähe zu decipher (v., ‚entschlüsseln‘) erklärbar; das <y> könnte auch durch cyber– ‚alles netzige‘ motiviert sein; sowie punk in einer neuen Bedeutung, der je nach Blickwinkel immerhin das Anarchistische innezuwohnen scheint (hier: ‚technisch versierter Mensch‘). Cypherpunks setzen sich laut Wikipedia für „Datenschutz in der EDV“ ein. Mit EDV meinen die vermutlich so eZeugs.

Was fehlt? Aktualität, Verbreitung. Anders als vom Nominierer vermutet, hat Cypherpunk 2012 keine nennenswerte Anfrageflut bei GoogleTrends ausgelöst (offenbar sogar gar keine); ich hätte das bei diesem Begriff erwartet. Das ist insofern auch deshalb erstaunlich, weil Julian Assange 2012 ein Buch mit diesem Titel veröffentlichte — was wiederum aber erklärt, weshalb zeitlich eingrenzbare Google-Treffer sich überwiegend auf die Veröffentlichung beziehen (Cypherpunk ist bereits seit Usenet-Zeiten belegt). Das spricht trotz der Brisanz und Wichtigkeit des Themas Datenschutz aber eben nicht für eine gesunde Verbreitung in der Sprachgemeinschaft. Immerhin hat die ZEIT für Ihren Weiterbildungshunger ein Cypherpunk–Dossier.

Liquid Democracy

Spannend daran? Die mit einer treffenden Metapher gefüllte Lücke. Verwendung im Deutschen spezieller auf Onlinekontexte bezogen, als in der Gebersprache, wo es als Fachbegriff offenbar überwiegend unter einer allgemeineren delegated democracy ‚delegierte Demokratie‘ firmiert. Liquid Democracy (‚flüssige Demokratie‘) bezeichnet eine Mischform aus „repräsentativer und direkter Demokratie“, also eine Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen weit über Volksabstimmungen hinaus. Die Flüssigkeitsmetapher holt dabei die Bürger/innen aus der Ja-Nein-Abnickdegradierung einfacher Wahlen und Volksabstimmungen heraus. Derzeit noch — anders als im englischsprachigen Raum — überwiegend auf Demokratie via Internet beschränkt, begünstigt durch technische Neuerungen und natürlich sehr deutlich von der piratigen Vorstellung von Politikmitgestaltung geprägt.

Was fehlt? Also zumindest nicht die Aktualität: der GoogleTrend-Trend ist sehr 2012. Und sonst so? Für die wirkliche Verbreitung im weiten Rund der Sprachgemeinschaft und außerhalb der Filterblase netzophiler Pirat/innen vielleicht noch die Erkenntnis über die Potentiale des Konzepts. Oder isses als Begriff einfach sehr sperrig? Schade, aber vielleicht 2013. Was sonst noch fehlt: Liquid Democracy wurde als Antwort auf die Nominierung von Liquid Feedback vorgeschlagen; letzteres musste aufgrund seines Markennamenstatus von der Liste gestrichen werden.

Nerd

„Ich nominiere Nerd.“ Sprach’s und zog von dannen. Und dass Nerd die erste Runde überstanden hat, ist unter anderem auf meinen Mist gewachsen (vielleicht deshalb oder deshalb). Also werde ich die Suppe auch auslöffeln. Spannend? Ich hatte Hoffnung. Sorry. Naja, außer vielleicht, dass auch 2012 noch ein auffallend hoher Anteil der Nerd–Nennungen in der Braunschweiger Zeitung mit den Fremdheitstags „“ versehen ist. Aber das sagt irgendwie mehr über Braunschweig als über eine potentiell spannende Frage, ob heute mehr im Nerd steckt, als ein vorverurteilter und viereckaugiger Sonderling.

Paid Content

Oft das Zeug hinter der Paywall (gleichzeitig nominiert). Was fehlt? Steht halt im Schatten der Paywall,1 aber eben nicht nur. Während sich Paid Content auf Inhalte und Produkte bezieht, bezeichnet Paywall die technische Vorrichtung. Paid Content kann, muss aber nicht hinter einer Paywall liegen (wobei wir umgekehrt das, was wir hinter einer Paywall finden, als Paid Content wahrnehmen). Das Begriffspaar aus Eindeutschungsversuchen — Bezahlinhalt & Bezahlwand — verdeutlichen das nicht ganz so schön, was Paid Content (ADJ + N) und Paywall (V + N) auch linguistisch zeigen. Sobald vernünftige Bezahlmodelle akzeptiert erfunden sind, ist möglicherweise auch diese stagnierende Verbreitung behoben.

Smartphone

Spannend? Ähnlich wie Tablet oder Hashtag fällt auch Smartphone für mich in die Gruppe ‚neue Produktkategorie, braucht halt ne Bezeichnung, aber da war vor dem Produkt auch keine Lücke‘. Aber spätestens seit ich gesehen habe, dass Smartphone möglicherweise das schöne Altdeutsche Handy am verdrängen ist, hüpft das Herz. Die Skepsis bröckelt.

Was fehlt? Eigentlich nichts. Denn so tut z.B. smart aus Smartphone endlich was im Kampf gegen das unsäglich altbackene Adjektiv smart, was der DUDEN noch unter anderem als ‚von modischer und auffallend erlesener Eleganz; fein‘ definiert. Und spätestens mit den Eindeutschungsversuchen Schlaufon oder Intellifon dürfte klar sein: klingelt‘s?!

Fazit

Einige Kandidaten sind für die Publikumswahl ernstzunehmende Kandidaten. Für eine detaillierte Analyse hat eben nur kein Jurymitglied schnell und laut genug hier! gerufen. Da wären wohl vor allem Liquid Democracy und Smartphone zu nennen, die aber sicherlich auch 2013 eine gute Chance haben (die erste Nominierung dafür ist übrigens schon eingegangen).

  1. Und für dieses schlechte Bild hätte ich gern n aufblasbaren Presslufthammer.

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